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Die geheimnisvolle Spitze von Burano

Aktualisiert: 15. Aug. 2022

Obwohl es erst 8:30 Uhr morgens ist, steht die Sonne bereits hoch am Himmel und die Luft ist unerträglich heiss - so muss sich das Fegefeuer anfühlen, denke ich mir. Heute geht's nach Burano, eine kleine Inselgruppe in der Bucht von Venedig. Ein Freund begleitet mich und ich bin froh, muss ich diese Seereise ins Unbekannte nicht alleine absolvieren. Zunächst fahren wir von Venedig auf die Murano-Inseln, die viele von euch wegen der farbigen Gläser kennen dürften. Dieser Ort ist auf jeden Fall einen Besuch wert und von hier fährt regelmässig eine Fähre nach Burano. Die Reise dauert ungefähr eine Stunde und es ist eine angenehme Abwechslung; das Schiff ist keine Nussschale, wie sie sonst in und um Venedig herum fahren, sondern geräumig, es hüpft also weniger an den Wellen und die ungefähr hundert Passagiere verteilen sich gut auf dem Deck. Der Motor brummt vor sich hin und die Fähre trägt uns davon, grüne Sumpflandschaften schwimmen an uns vorbei, dazwischen kleine Inseln mit ehem. Fischerhäusern, alles schimmert wunderbar im blauen Licht und die klebrige Luft duftet nach Salz.



Im Hafen von Burano angekommen, heisst uns lautes Zirpen der Zikaden willkommen, die allgegenwärtigen Stände mit allerlei Touristenartikeln kommen mir überflüssig vor. Leicht belämmert von der Reise torkeln wir entlang der Gebäude, um etwas Schatten zu erhaschen Richtung Zentrum. Der schiefe Stadtturm scheint sich in der schwitzenden Luft noch mehr zu neigen, nichts ist unmöglich an diesem Ort. Der steinige Boden ist sehr heiss, die glühende Hitze hängt zwischen den farbigen Fischerhäusern. Wie ein Drache, der Feuer speit, bewegt sie sich in unregelmässigen Schüben und füllt die Gassen am Kanal, aus denen kein Entkommen ist. Nach einer kurzen Pause im Café geht's direkt ins Spitzenmuseum, denn dies ist der eigentliche Grund meines Besuchs. Das Museum ist in einem ehem. Palazzo in der Stadtmitte angesiedelt. Hier werden die ältesten Spitzen-Exemplare, die bis ins 15. Jahrhundert reichen, aufbewahrt und ausgestellt. Beliebt war diese (auch ‚venezianische' genannt) Spitze besonders bei den Damen am Königshof in England oder Frankreich. Die Spitze wird einzig mithilfe von Nadel und Faden "in die Luft gestickt", für die Übertragung der (meist floralen) Muster wurde im Hintergrund ein Papier mit den gezeichneten Vorlagen befestigt. Später sind dreidimensionale Rosetten und andere Ornamente hinzugekommen. Die Kunst der Spitze wurde in der Schule von Burano unterrichtet und hier entstanden auch viele berühmte Textilstücke, wie etwa der Kragen, den Ludwig XIV zu seiner Krönung trug. Das Museo del Merletto (ital. Spitze) wurde nach der Schliessung der Schule gegründet, um die kunsthandwerkliche Tradition zu bewahren und weiterzugeben. Die ausgestellten Exemplare sind atemberaubend, die schiere Vielfalt der Muster und die Grösse mancher Stücke, sowie die Perfektion muten geradezu unglaublich an. Wie viel tausend Stunden stecken wohl in dem fast drei Meter langem Hochzeitsschleier? Auch ein paar kunstvoll gestickte Handschuhe, sowie diverse Kragen (diese wurden über das Kleid getragen) und weitere kleine Gegenstände entzücken das Auge.



Gerne würde ich mehr über diese schwierige aber faszinierende Technik erfahren. Zu meiner grossen Freude haben sie im Museumsshop drei Arbeitshefte zum Verkauf, die in Stufen die Spitzentechnik vermittelten. Sogleich nehme ich sie in die Hand und lege der Dame an der Kasse zur Bezahlung vor. Zu meiner Überraschung wird mir gesagt, dass sie mir zurzeit nichts verkaufen kann, da die Kasse nicht funktioniere. Kein Problem sage ich, hier ist das Bargeld, Sie können es nachträglich tippen. Nein, so geht es nicht, den dann sind die Hefte bereits weg, erwidert sie mir. Hm, aber da liegen doch weitere Exemplare, sage ich, sie können diese scannen und so abbuchen. Nein, das geht auf keinen Fall, beharrt die aufgrund ihres Alters zerbrechliche Verkäuferin auf ihrem Standpunkt, den ich ganz und gar nicht nachvollziehen kann. Verdutzt versuche ich es nochmals und fügte hinzu, dass ich gar aus der (weiten) Schweiz komme und selber sticke, folglich die Hefte unbeding haben möchte. Nein, da ist nichts zu machen, die Kasse funktioniert nicht, sie kann mir nichts verkaufen. Etwas genervt verliess ich schliesslich das Museum, ganz verstimmt ob der unerklärlichen Unfreundlichkeit. Hängt diese womöglich damit zusammen, dass die Spitzentechnik weiterhin geheim bleiben soll?? Hoffentlich werde ich beim nächsten Besuch mehr Glück haben.

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