’Tada’ bedeutet im Hindi soviel wie ‚Berg‘ + āsana heisst ‚Stellung' (falls ihr euch gewundert habt, warum die meisten Namen der Yogastellungen auf -āsana enden). Korrektes Stehen will gelernt sein, es ist keine Selbstverständlichkeit, wie irrtümlich angenommen wird. Im Kindesalter üben wir zwar das Stehen und Gehen, aber selten wird darauf geachtet, wie genau und korrekt dies ausgeführt wird. Den Kindern fällt es in der Regel ohnehin leicht, über eine längere Zeit hinweg zu stehen oder zu springen, erst mit dem Alter wird das Laufen zu einer Herausforderung, weil die Fehlstellungen zunehmend das Gehen erschweren.
Tadāsana ist eine wichtige Grundstellung im Yoga, wenn nicht sogar die wichtigste. Je älter wir werden, umso schneller eilen wir durch das Leben und für das korrekte Stehen und Innehalten bleibt uns keine Zeit. Wer gerne Laufsport hat oder an Laufwettbewerben teilgenommen hat, der weiss, wie wichtig das Sich-in-Stellung-bringen vor dem Start ist. Das Stehen ist für mich stets mit einem Fokus verbunden, eine Art Update oder letzter Check, ein bisschen Ruhe vor dem Sturm (oder eben Start). Je nach Kontext kann das Stehen auch mit Stillstand oder Unbeweglichkeit assoziiert werden, es ist also eher negativ konnotiert und wird entsprechend gerne verdrängt.
Korrektes Stehen, bei dem das Gewicht richtig verteilt ist, fühlt sich leicht und ausgewogen an, ein bisschen so, als ob der Körper über dem Boden schweben würde. Die beiden Füsse finden ihre Fortsetzung in den Beinen und schliesslich in den beiden Körperhälften. Das ganze Gewicht ruht auf den Fusssohlen und von hier aus beginnt die Arbeit an der Wahrnehmung und die wichtigsten Korrekturen. Die einzelnen Zehen, Fusssohlen, Fusskanten und -seiten, die einzelnen Gewölbe, Knöchel, Fersen und und und. Bereits hier an der Basis gibt es unzählige kleine oder grössere Korrekturen, die das gesamte Wohlergehen beim Stehen beeinflussen. Diese Arbeit setzt sich dann nach oben Richtung Hüften, Rumpf, Wirbelsäule, Schultern und Nacken, bis hin zum Kopf vor.
Um genauer zu sein, es sind w i r, die aktiv unser Wohlergehen beeinflussen und formen. Sogar wenn wir unsere Gesundheit vernachlässigen, tun wir etwas, wir lassen nämlich geschehen. Zwar sind wir von immer mehr Technik und digitalen Gadgets umgeben, aber das wahre hightech Wunder - nämlich unseren Körper - verlieren wir gerne aus den Augen. Unser Körperverständnis orientiert sich auch heute noch weitgehend an mittelalterlicher Vorstellung von Gesundheit (ja, ihr habt richtig gelesen). Das bedeutet so viel wie ‚ich kann eh nichts tun‘ oder ‚Gesundheit hat man/frau oder eben nicht‘, was natürlich nicht so einfach ist. Denn die meisten Menschen kommen zwar gesund auf die Welt, es ist ein Geschenk, das wir für selbstverständlich nehmen, aber später überlassen wir den Körper, Geist und unsere Gesundheit sich selbst. Wir sind es uns nicht gewohnt, unsere Gesundheit täglich aktiv zu pflegen, darauf zu achten, wie wir stehen, sitzen, gehen, atmen… kurz und gut eine Art konstante Pflege, die wir uns täglich / mehrmals wöchentlich schenken. Bereits ein paar Minuten Wahrnehmung und Aufmerksamkeit eröffnen neue Welten, schaffen Bewusstsein und ja, machen uns auf das aufmerksam, was sich nicht gut anfühlt und wo Korrekturen nötig wären. Kein Mensch würde mutwillig seine Kleider, Wohnung oder Garten, geschweige denn sein Auto verfallen lassen, schliesslich strapaziert es nicht nur die Finanzen, sondern auch das Ansehen. Beim Körper hingegen drücken wir allzu gerne ein Auge zu oder stellen uns voreilig etwas machtlos an. Aber aus diesem Körper-Raum, den wir bereits vor unserer Geburt betreten haben, können wir nicht einfach so hinausgehen oder ihn für einen neuen umtauschen. Wir tun also gut daran, ihn nach unserem besten Wissen zu pflegen und ihm Sorge zu tragen.
Tadāsana eignet sich perfekt, um über diese Dinge nachzudenken, sich Zeit und Raum für uns selbst, unseren Körper und Geist zu nehmen. Ich schreibe bewusst auch ‚Geist‘, denn viel von der Körperarbeit hängt von unseren inneren Wahrnehmungen, Kapazitäten und (!) Flexibilitäten / Vorstellungskraft ab. Wir sind es uns gewohnt, unseren Körper nur als eine passive Masse zu denken, die in den Raum vordringt, sich in diesem Bewegt und orienteirt. Aber es gibt noch einen weiteren Raum, nämlich den in uns drinnen. Und diesen Raum erkunden wir beim Yoga. Ich sterecke meine Finger aus aber ich strecke sie auch innerlich. Mit diesen Dimensionen wird oft im (Kampf)sport gearbeitet: ich gehe über meinen Körper hinaus, ich schaffe mir zusätzlichen Raum und diese Arbeit beginnt bereits mit der Vorstellungskraft. Yoga ist vieles, aber was selten gesagt wird, ist, dass es auch ein Handwerk ist. Und zwar eines, dessen Früchte uns vollumfänglich zu gute kommen, wenn wir uns ein bisschen anstrengen. Auch lehrt uns Yoga, dass vieles nicht so ist, wie es scheint, dass die Dinge und unsere Perspektive stets im Wandel sind. Wenn ich auf dem Kopf stehe sieht die Welt anders aus, als wenn ich auf den Füssen bin. So ist zum Beispiel das hoch befürchtete Älterwerden nur ein Faktor von vielen, womöglich sogar nicht mal der wichtigste. Denn ein junger Mensch kann in einem schlechteren / unfitteren Zustand sein als jemand, der 70+ ist. In diesem Sinne ermutige ich euch, den ersten Schritt Richtung Tadāsana zu machen :-)
Yoga nach Iyengar Methode jeden Freitag 8-9:30 Uhr (Rötelstrasse 32)
Info & Anmeldung: https://www.arbeitandermasche.ch/yoga
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