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fernab alter Muster

  • Autorenbild: jb
    jb
  • 14. März
  • 6 Min. Lesezeit

 

In der 10. Regel seiner «Regulae»  empfiehlt René Descartes die Arbeit mit Fäden und insbesondere das Sticken als eine hervorragende Übung, die zum Schärften des Verstandes und zur Verbesserung analytischer Fähigkeiten beitragen soll, vorausgesetzt, wir schauen nicht bei anderen ab, sondern lassen unserer Kreativität freien Lauf. Auf den ersten Blick mag es erstaunen, dass gerade ein Philosoph, der als Begründer des Rationalismus gilt und für den Sinneseindrücke, sowie die materielle Welt eine Quelle der Täuschungen war, uns eine sinnlich-materielle Betätigung empfiehlt. Doch Descartes wusste es selbst am besten: wir kommen nicht um die greifbare Welt umhin, ohne sie wäre unsere Existenz nichts als eine Einbildung.

 

René Descarts, Regulae ad directionem ingenii [ab 1619].

 

Artischocke, Ansicht von links, gestickt auf indigoblauem Hintergrund
Artischocke, Ansicht von links, gestickt auf indigoblauem Hintergrund

Das textile Handwerk hat mich schon während meiner Kindheit fasziniert: ob das mechanische Rattern einer Nähmaschine oder das rhythmische Klappern zweier Stricknadeln, begleitet von Gesprächen, die sich ähnlich einem Faden mal an der Oberfläche, mal in der Stille fortsetzen. Ein Stück Stoff wurde für mich zu einem Ort, an dem Vorstellung und Materialität zusammentreffen und ihren Ausdruck in neuen Objekten finden. Das Suchen und Finden von textilen Formen bieten uns eine schier unendliche Fläche zum Experimentieren, hier können wir spielend lernen und innerlich wachsen. Mit zunehmendem Alter wurde für mich das textile Handwerk zu einer Metapher für das Leben selbst: wir schlagen einen Faden ins Gewebe und machen den Anfang, ohne zu wissen, wie die Geschichte ausgeht. Für gewöhnlich bevorzuge ich je nach Jahreszeit verschiedene textile Arbeiten: Häkeln und Stricken im Winter, Sticken und Färben im Sommer, gelegentlich Weben oder Arbeit mit Papier, sowie eigene experimentelle Verfahren, ganz im Sinne von Descartes. Täglicher Yoga, Laufen, Experimentieren und Lernen sind ein fester Bestandteil meiner Arbeit als Künstlerin und Philosophin. Jede dieser Tätigkeiten regt die Sinne auf eine andere Art an und wirkt sich auf das aus, was wir in anderen Bereichen oder generell im Leben tun. Das textile Kunsthandwerk manifestiert sich zwar in greifbaren Objekten, doch die wichtigste Arbeit findet meiner Ansicht nach in unserem Inneren statt. Es geht um die Art und Weise, wie sich unser Geist ‘bewegt’ und welche Gedankenwege wir zurücklegen, während wir kreativ tätig sind.

Es gehört zur physischen Beschaffenheit der Welt, dass wir die Dinge immer nur aus einer Perspektive sehen; wir können ein Objekt gar nicht in seiner Ganzheit erfassen. Die textile Arbeit (und Handarbeit generell) ermöglichen uns hingegen eine Annäherung an eine ganzheitliche Erfahrung: wir halten ein Stoffstück in den Händen, drehen ihn und gehen mit dem Faden hindurch. Parallel zur äusseren Bewegung machen wir auch eine Figur im Inneren, geleitet von unserer Vorstellungskraft. Wir wachsen an unserer kreativen Arbeit und verändern uns mit ihr. Im Gegensatz zu einer Fotografie oder einem digitalen Bild hat eine bestickte Fläche auch eine Rückseite (die oftmals auch ein Bild ergibt). Hinzu kommen die Haptik und der Geruch, sowie das sanfte Rascheln des Stoffes zwischen den Fingern, das sich mit der eigenen Bewegung verbindet.

Häufig werde ich gefragt, ob es denn die richtige Sticktechnik gibt. Unter Technik verstehe ich eine festgelegte Abfolge von Arbeitsschritten, die zu einem bestimmten Zweck gemacht wird und deren Richtigkeit im Sinne der Sache begründet ist. Da die textile Herstellung je nach Periode und Ort unter anderen Bedingungen stattgefunden hat, gibt es viele verschiedene Sticktechniken. Einige haben sich im Laufe der Zeit verändert, andere nicht. Es ist wichtig anzumerken, dass ‘richtig’ und ‘falsch’ sich nicht nur auf das Handwerk, sondern auch auf eine Lebensweise bezogen. Insbesondere in der klassischen, sowie folkloristischen Stickerei galt die ‘richtige’, weil sich in ein vorhandenes Kontinuum fügende Wiedergabe von Farben, Mustern und Griffen als wünschenswert und kam auch bei der Erziehung junger Frauen zum Einsatz. Das übergeordnete handwerkliche und geschäftliche Know-how war oft ein gut gehütetes Geheimnis, das nur zaghaft weitergegeben wurde, da es nicht zuletzt Hierarchien innerhalb einer Gemeinschaft sicherte. Nicht selten diente das Weiterführen der Tradition (da traditioneller Stickerei) als Vorwand, um die zukünftigen Griffe, Entscheidungen und Lebensmuster jüngerer Generationen zu gestalten. Die textile Arbeit und ihre Formen kann in diesem Sinne als ideologisch verstanden werden, da sie Ideen und Weltanschauungen transportiert und sie umzusetzen versucht. Traditionelle Stickerei und subversive textile Arbeit repräsentieren zwei konträre Weltanschauungen, die nicht nur auf der technischen, sondern vor allem auf der moralischen Ebene miteinander kollidierten. In der Literatur werden diese als das Athene- (das Schöne und Geordnete) und das Arachne-Prinzip (das Unordentliche, weil Unkonventionelle) bezeichnet. Die textile Kunst kennt genügend Beispiele unkonventioneller Arbeitsweisen, die sich oft gegen Ausgrenzung und Kritik behaupten mussten.

Meine Arbeitsweise ist von meinem bisherigen Lebensweg geprägt, entsprechend fliesst mein ganzes Wissen hinein und alles kann als Anregung oder Inspiration dienen. Dies kann von Kinderbüchern aus meiner Kindheit über eine Reise bis hin zu politischen oder emanzipatorischen Fragen reichen. Bei der Auswahl der Themen gehe ich eher instinktiv vor, die Vorbereitung und Umsetzung in ein konkretes Projekt hingegen beträgt unzählige Arbeitsstunden. Die Qualität einer Idee kommt erst im Arbeitsprozess zum Vorschein. Ich versuche stets selbstkritisch zu bleiben, den Sachen auf den Grund zu gehen, ohne Angst zu haben, etwas (einschliesslich mich selbst) zu hinterfragen. Dazu gehört auch, dass ich eine Idee manchmal zurückstellen muss, egal, wieviel ich bereits in sie investiert habe.

Indem ich andere etwas lehre, lerne ich auch von meinen Schüler:innen, denn jede Person bringt unterschiedliche Voraussetzungen und Wissen mit. Je nach Alter und Ort variiert die Dynamik in den Arbeitsgruppen, hinzu kommt das Thema und andere Faktoren wie z.B. Vorgaben einer Institution. Ich gehe auf all dies ein und gestalte meinen Unterricht entsprechend, kaum zwei Workshops sind gleich. Bei der inhaltlichen Umsetzung lasse ich den Teilnehmer:innen gänzlich freie Hand, ich unterstütze sie lediglich technisch, ohne ihnen vorzuschreiben, was sie zu tun haben. Ich gebe keine alten Muster wieder, um der blossen Wiederholung willen oder um sich in ein vorhandenes Kontinuum einzufügen. Spätestens seit der Aufklärung ist es unsere Aufgabe, sich des eigenen Verstandes zu bedienen. Wenn ich einen Handgriff mache, dann will ich genau wissen, warum. Nur ein klarer Geist, der verstehen will, kann ein klares Handwerk hervorbringen: eine jede Bewegung ist schliesslich rückwirkend auch eine innere Arbeit, an der wir wachsen. Die Art und Weise, wie wir ein Handwerk ausüben, beeinflusst, wie wir uns selbst und die Welt denken. Dieser Grundsatz bildet die Essenz meiner Vermittlungsarbeit und ich versuche ihn möglichst unverfälscht weiterzugeben.


Nashorn, Ansicht von links
Nashorn, Ansicht von links

Körperliche Prozesse schärfen unsere Wahrnehmung und ermöglichen uns Dinge auszudrücken, die sich nicht allein mit Sprache aussagen lassen. Für gewöhnlich bewegen wir uns vom Groben zum Feinen hin. Während wir arbeiten, werden unsere Bewegungen und Wahrnehmung immer feiner, bis wir schliesslich ganz kleine Details unterscheiden können. Diese Feinheit eröffnet uns neue Welten und macht für uns Dinge sichtbar, die vorher so nicht da waren. Dies ist auch das Ziel meiner Vermittlungsarbeit; neue Welten zu eröffnen und Perspektiven schaffen, wo vorher scheinbar keine waren. Es ist mir ein Anliegen, dass meine Workshops allen zugänglich sind, ohne Voraussetzungen. Das Sticken soll auch ohne langwierige Vorbereitung und Geheimniskrämerei möglich sein, ich versuche stets Freude am Experiment und eine möglichst ungezwungene Herangehensweise zu vermitteln. Die Ausübung und Vermittlung des (textilen) Handwerks kann in diesem Sinne auch als ein Handwerk (auf einer Meta-Ebene) verstanden werden. Wie Richard Sennet in seinem Buch Handwerk anmerkt, kann jede menschliche Tätigkeit – vom einfachen Spinnen bis hin zur Staatsführung – als Handwerk verstanden werden. Mahatma Gandhi, der selbst bei politischen Sitzungen an seinem Spinnrad weiterdrehte, demonstrierte auf diese Weise die ermächtigende Wirkung des Handwerks.

Das Hervorbringen von Objekten aus Stoff gibt unseren Gedanken ein greifbares Gefäss, es kann uns mit der Vergangenheit oder Zukunft verbinden, Erinnerungen über Raum und Zeit transportieren, sowie an andere Menschen näherbringen. Auch hinterlassen wir auf diese Weise eine greifbare Spur in der Welt, was von vielen Menschen als befriedigend empfunden wird, zumal so dem eigenen Schaffen eine konkrete Bedeutung zukommt.

 

Jana Bochet ist in der Slowakei aufgewachsen, nach ihrem Umzug in die Schweiz studierte sie an der Universität Zürich Philosophie mit Schwerpunkt Bildtheorie und Fotografie. Seit 2018 ist Jana mit ihrem Projekt Arbeit an der Masche beruflich selbständig. Die textilen Arbeiten und vielfältigen Workshops der Künstlerin greifen Themen aus der Literatur, Kunst oder dem Alltag auf und wiedergeben diese auf eine einmalige Weise. Als diplomierte Iyengar Yoga Lehrerin schöpft Jana Inspiration auch aus der indischen Philosophie und Achtsamkeitslehre und unterrichtet regelmäßig Yoga. Neben diversen Projekten verfolgt die Künstlerin ihr eigenes Dissertationsprojekt an der Universität Zürich.


Dieser Artikel ist in der 1/2025 Ausgabe Nadel und Faden der Zeitschrift Werkspuren erschienen: https://www.werken.ch

 
 
 

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