Die Bilder von Hieronymus Bosch, die gewöhnlich zwischen Hölle und Paradies oszillieren, sind zweifelsohne vielen bekannt. Diesmal möchte ich jedoch über ein Bild sprechen, das nicht vielen bekannt sein dürfte. Es handelt sich um die Aussenseiten des berühmten Gemäldes „Der Garten der Lüste“ (hier gehe zu "Panels" und dann "Outer Panels").
Diese Aussenseiten, die in Grautönen gemalt sind, zeigen die Welt am dritten Tag ihrer Entstehung. Der Himmel und die Erde sind bereits da, das Licht wurde von der Dunkelheit getrennt, sowie die Gewässer vom Festland. Schliesslich, am dritten Tag wurde die Vegetation erschaffen, sowie der Tag und die Nacht, die sich von nun an abwechseln. Auf dem erwähnten Bild kann man die Erdkugel, die zur Hälfte abgedunkelt ist, erkennen. Die Landschaft ist übersät mit Pflanzen und Bäumen; diese sind nicht im einzelnen erkennbar, denn der Schöpfungsprozess ist noch nicht zu Ende. Es gibt Objekte im Bild, die sich nur schwerlich beschreiben lassen, etwas zwischen Felsen, Pflanzen und abstrakten Figuren. Von oben scheint durch die dichten Wolken die Sonne, ihre Strahlen verteilen sich auf der linken Seite vom Gemälde und erhellen alles. Es ist kein einfaches Bild, doch mit Abstand eines meiner beliebtesten. Aus philosophischer Sicht ist es nämlich sehr interessant, was da vor sich hin geht. Es scheint, als ob Gott eine Art Ur-Prototypen von Objekten (Bäume, Felsen, Grundmasse für weitere Pflanzen oder sogar Tiere) erschaffen hatte. Diese Darstellung kommt der platonischen Ideenlehre ziemlich nahe. Demnach gehen alle Gegenstände auf Ideen (und ihre Idealprototypen) zurück, jedes Pferd ist die - oft unperfekte - Umsetzung des Idealpferdes etc.
Ich habe mir lange überlegt, wie ich dieses Bild sticken sollte, zumal es nicht einfach ist, abstrakte Formen darzustellen, ohne im Chaos zu versinken. Die einfachen Linien und simple Stiche (mehrheitlich Laufstich) sollen auch technisch die Idee einer Welt in ihrem Anfangsstadium unterstützen. Ausserdem war der Laufstich der erste Stich überhaupt, bekannt bereits in der Steinzeit. Soweit bin ich mit meiner Arbeit zufrieden, hoffentlich wird es so bleiben:) Bei meiner Interpretation von Boschs Gemälde hielt ich mich möglichst an die gemalte Vorlage, und versuchte diese auch farblich aufzunehmen. Selbstverständlich handelt es sich um eine visuell ziemlich vereinfachte Version. Die rechte Seite stellt die Nacht dar, ist also in Grautönen gestickt, wogegen die linke Seite heller ist, da sie den Tag darstellt. Interessanterweise hat Bosch die Landschaft in einem Übergangsstadium gemalt: die Pflanzen und Objekte scheinen sich am Tag zu entwickeln, wogegen die Vegetation und die Ur-Formen im Nacht-Teil abstrakter und unvollendeter scheinen.
Das Bild als solches ist sehr ruhig, mir kommt es gerade sehr gelegen, diese stille Ur-Szenerie in einer Zeit, wo beinahe alles stillsteht, zu sticken. Es ist, als ob wir uns gerade auch ein Bild von unserer Welt machen. Vielleicht ist es ja nicht [nur] die Welt, die sich gerade verändert, sondern vor allem unsere Sicht auf sie.
Als Nächstes werde ich den Himmel samt Wolken und Sonnenlicht sticken, darauf freue ich mich bereits jetzt sehr. Ich hoffe, dass mein Bild visuell dem Original nahe kommt, also dass man es erkennt. Auf jeden Fall werde ich euch aufm Laufenden halten!
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