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Häkelnd durch die Krise

Aktualisiert: 19. Juli 2021

Das Häkeln ist schon eine seltsame Betätigung, denke ich mir manchmal. Einzig mit einer Häkelnadel - im Grunde einem sehr einfachem Instrument - und durch simple, sich immer wiederholende Bewegungen erschafft man eine Fläche von komplexer Schönheit. Das Muster entsteht durch kleine Variationen; je nachdem, ob frau den Faden ein oder zwei Mal auf der Häkelnadel aufwickelt und welche Maschen frau verbindet.


Das abgebildete Tuch wird, wenn es dann mal fertiggestellt ist, aus 225 Quadraten bestehen. Dies ergibt eine Breite und Länge von jeweils 15 Quadraten (ein Quadrat misst ungefähr 7 cm; daraus resultiert eine Kantenlänge von gut 110 cm, wenn man noch die Ränder hinzuzählt). Alle Quadrate sind im Grunde gleich, einzig die Farbe variiert. Jedes einzelne Stück besteht aus vier Farben; eine zweifarbige Blume in der Mitte und zwei farbige Ränder. Ursprünglich wollte ich die Ränder eines jeden Quadrats in dunklen Tönen häkeln, doch dies würde meine Farbauswahl einschränken und das Tuch unnötig dunkel machen. Auch war mein Materialvorrat nicht so gross und die Corona-Starre, die ganz Europa lahmlegte, erlaubte mir keinen Nachschub von Mette Mehlsen zu bestellen. Also beschloss ich spontan vorzugehen und die Quadrate aus den Farben zu häkeln, die mir gerade zur Verfügung standen. Wie es sich nun herausstellt, war dies eine richtige Entscheidung. Das Tuch ist farbenfroh und wirkt nicht zu schwer oder langweilig, was bei gehäkelten Texturen oft der Fall ist. Das Gewebe ist sehr zart, ehrlich gesagt weiss ich nicht, wie oft ich das Tuch tragen werde und falls ja, dann nur mit allergrösster Sorgfalt. Sollte mir dennoch ein Malheur passieren, so dass ein Quadrat sich öffnet oder reisst, dann lässt es sich gut reparieren, indem ich einfach ein neues Quadrat häkle und an dieselbe Stelle einnähe. Dennoch hoffe ich sehr, dass dies nicht (allzu oft) passieren wird.



Mein Tuch ist von Hochzeits- und Geburtstüchern, wie sie in Osteuropa im 18.-20. Jh. getragen wurden, inspiriert. Diese Tücher waren entweder aus Leinen und dann reichlich bestickt (oftmals war es Arbeit mehrerer Generationen oder ganzen Gemeinschaften) oder eben aus feiner Wolle gehäkelt. Die Form war quadratisch, denn so liess sich das Tuch schön zu einem Dreieck falten und schon konnte man die ganze Pracht, die sich auf den Schultern ausbreitete, der Welt zur Schau stellen. Auch liessen sich die - selbstverständlich günstigeren, alltäglichen - Varianten verknoten und zu einem Tragesack umwandeln oder als Babyträge einsetzen.


Da die Wolle, die ich verwendete, allesamt mit pflanzlichen Extrakten gefärbt ist, haben die einzelnen Farben unterschiedliche Eigenschaften. Dies macht das Häkeln etwas schwieriger, zumal sich die Fäden unterschiedlich anfühlen und auch unterschiedlich auf die Spannung beim Häkeln reagieren. Zugleich ergeben die natürlichen Pigmente faszinierende Farbkombinationen, an denen man sich nicht sattsehen kann (warum wohl?). Der Blick wandert von einem Quadrat zum nächsten, die Augen wägen zwischen Gelb und Orange ab, als ob das Betrachten ein physischer, greifbarer Akt wäre, bei dem man etwas tut, zum Beispiel das eine Quadrat vom anderen trennen würde oder Ähnliches. Je mehr man die gesamte Fläche anschaut, umso mehr scheint sich der Blick darin zu verlieren und die Augen wollen nicht wegsehen.


Mittlerweile habe ich 138 Quadrate fertiggestellt, ich nähe sie fortlaufend zusammen. Sehr bald - wenn ich weiterhin so fleissig arbeite (pro Woche schaffe ich um die 20-23 Quadrate), sollte ich fertig sein. Den durch den Corona-Lockdown bedingter Stillstand konnte ich also für etwas nutzen, wofür ich womöglich sonst keine Zeit finden würde.



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